|
Mein Vater war ein
guter Mann.
Ich habe keine Erinnerung an ihn, aber ich habe den Namen, den er mir
gegeben hat und nur ein guter Mann hätte seinem Sohn diesen Namen
gegeben: Zorn.
In unserer Sprache ist das ist der willkommene Fremde, der Gast, und wie
fein muss ein Mann sein, der diesen Namen dem Kind gibt, dass neun Monde
nach dem Überfall der fremden Herren aufs Dorf geboren wird?
Er hat mich als seinen Sohn aufgezogen, die zwei Jahre, die er lebte,
während ich lebte.
Ich weiß nicht, ob meine Mutter zu mir von ihm sprach nach seinem
Tod, aber ich weiß, dass er ein Krieger war. Ich erinnere mich an
das Schwert, das meine Mutter unter der Bettstatt hervor zerrte, während
sie mich darunter schob, als die Fremden wiederkamen.
Es muss das Schwert meines Vaters gewesen sein, denn Frauen tragen bei
uns keine Schwerter, sie führen kurze Lanzen.
Und wenn mein Vater ein Krieger war in diesen dunklen Zeiten, dann kämpfte
er gegen die Besatzer.
Ich kann auch sicher sein, dass er mit dem Namen Thothamons auf den Lippen
in die Schlacht zog, denn Thothamon war es, der unser Volk im Untergrund
stärkte, in dessen Namen die Krieger und Aufständischen zusammen
kamen. Thothamon hat viele Gesichter, denn er ist nicht nur der
Gott, der die Toten aus dem Leben in den Zirkel der Wiedergeburten führt
- und am Ende darüber hinaus -, er ist auch der Gott, der uns befiehlt,
unsere Gefühle zu leben, der uns leidenschaftlich in allen Dingen
sein läßt. Ihm zu eigen sind die Wut des Kriegers und die Ekstase
der Lust, die Hitze des Hasses und der Rausch des Tanzes.
Dankbarkeit, Freude, Schmerz, Eifersucht, Sehnsucht, Hingabe und Verzweiflung,
nichts ist ihm fremd, ein jedes Gefühl nährt seine Kraft.
Es waren die Priester
Thothamons, des Kriegsgottes, die unser Volk im Untergrund führten
und die Seele des Widerstandes waren.
Und wenn mein Vater ein Anhänger Thothamons war, dann hat er mich
als seinen Sohn geliebt - sonst hätte er mich, wie es der Brauch
ist mit kranken und schwächlichen Kindern, ausgesetzt zum Sterben.
Kein falsches Mitgefühl
hätte ihn davon abgehalten. Aber er ließ mich am Leben, nährte
mich, und als ich das Kindbett überlebt hatte, zeichnete er mich
wie es ein guter Vater tut mit den Runen, die meinen Namen bilden, damit
böse Geister keine Macht über mich gewinnen können.
All das erzählt mir das Schwert in der Faust meiner Mutter, während
sie nach draußen in den Tod stürmte.
Ich glaube auch, ich hatte einen Bruder, jünger als ich, den meine
Mutter auf dem Schlitten zog. Drei Jahre lang nach dem Tod des Vaters
hat meine Mutter uns ernährt und mein Bruder muss in dieser Zeit
geboren worden sein. Er hatte so schwarzes Haar wie sie und so schwarze
Augen.
Aber ich es weiß es nicht genau, sowenig wie ich weiß, was
aus ihm geworden ist.
Nur an den Tod meiner
Mutter erinnere ich mich aus dieser Zeit ganz klar.
Ihr Blut lief über meinen Körper und mein Gesicht, während
ich mich unter dem Bett versteckt hielt, auf dem sie schließlich
starb.
Wenn ich recht überlege,
so denke ich, dass der Bruder auf dem Schlitten nur ein Traum ist, denn
sonst hätten die Diener Thothamos sicher auch ihn unter dem Bett
gefunden, aber davon stand nichts in ihren Büchern. Dort stand nur,
dass sie mich fanden in einem menschenleeren Dorf, in
dem die Leichen auf den Straßen steif gefroren lagen.
Ich war selber halb erfroren, aber ich lebte, wenn auch mein Leben an
einem Haar hing. Tagelang, so sagen die Aufzeichnungen, lag ich im Fieber,
nahe dem Tode, nahe daran, den Kreis der Wiedergeburten zu durchschreiten.
Aber schon die Kinder der Iiringas sind zäh, so überlebte ich.
Die Priester sagen, dass meine Unfähigkeit mich zu erinnern, vielleicht
in diesem Fieber begründet liegt.
Vielleicht aber war es auch die Gnade Thothamos, die einen Schleier über
das Leben deckte, das unweigerlich vorüber war.
Mein neues Leben begann in den Armen einer Frau, die mir fremd war, die
ich aber heute meine Mutter nenne, denn sie war es, die mich mit neun
anderen Kindern großzog. Sie heißt Myrtis und hat dicke, blonde
Zöpfe, in die sich nun viel grau mischt, die aber immer noch lang
über ihren Rücken hängen. Sie ist eine Ekairinga und deutlich
sichtbar sind die walischen Vor fahren ihrer Sippe in ihrem ovalen Gesicht,
ihrem hellen Haar und ihren grünbraunen Augen. Ich hätte eher
ihr Sohn sein können als der meiner Mutter, denn mein Haar ist von
sehr, sehr dunklem Blond und meine Augen sind graublau.
Wir waren einander die Familie, die wir alle verloren hatten. Sechs Mädchen
waren dabei, und die älteste war fast zehn, doppelt so alt wie ich,
der ich nicht der jüngste der Kinder war. Wir hatten ein kleines
Haus und lebten von den Gaben des Tempels und dem, was wir selbst erwirtschafteten
Es waren die Gaben des Tempels, auch wenn sie von den Dorfbewohnern kamen,
dort in diesem kleinen Dorf an der Küste nahe Teye, denn die Fischer
gaben uns den Zehnt, den sie sonst hätten zum Tempel von TashKatanor
oder Ankhor schicken müssen.
Längst nicht alle Ekairingas waren damit einverstanden, dass der
Tempel diese Abgaben erhob, oder dass wir unterstützt wurden. Vor
allem die Frauen knurrten manches Mal, dass Isjia das noch richten würde,
aber schlimmer wurde es nie - zu groß waren die Wohltaten, die die
Anhänger Thothamos wirkten.
Das Waisenhaus, in dem ich lebte, war nur eines von vielen; der Krieg
hatte unzählige
Opfer gefordert. Nicht nur diese Waisenhäuser unterhalten und unterstützen
die Priester. Auch gibt es Schulen und Armenspeisungen und Bäder
und Männer, die darüber wachten, dass die Gewichte gerecht waren.
Wir Kinder lernten lesen und rechnen, wir lernten die Gebete, mit denen
wir Thothamon anrufen und ihm danken konnten.
Als wir alt genug waren, nahm Myrtis' Bruder uns mit hinaus aufs Meer,
wir lernten Kajaks zu rudern und später auch zu segeln.
Wir harpunierten Fische, liefen auf Schneeschuhen und kochten unser eigenes
Essen. Es war nicht anders als es in einer großen Familie gewesen
wäre, nur dass in unserem Haus noch jemand war, der Schatten des
Wohltäters, dem wir alle unser Leben verdankten: der Theokrat von
Ankhor, der gegen den Widerstand so manches Schamanen den Glauben an Thothamon
verbreitete und seine Werke befahl.
Mit jedem Tag, der verging, mit jeder Schüssel Suppe, die ich aß,
mit jeder Seite, die ich lesen durfte, wurde der Wunsch in mir größer,
etwas zurück zu geben von dem, was ich an Güte erfahren hatte.
Meine Trauer war groß, als bei den Prüfungen der Priester bei
mir keinerlei Talente deutlich wurden, die einen Beschwörer oder
Gelehrten aus mir gemacht hätten.
Erst als ich zehn Jahre wurde, zeigte sich, dass ich doch ein Talent besaß.
Auch wenn ich nicht viel größer war als andere Jungen meines
Alters, feingliedriger als die meisten, war ich doch kräftiger, schneller,
gewandter als die anderen. Myrtis sah es nicht gern, aber ich würde
ein Krieger werden, sagten die Männer. Onkel Olgor schickte mich
schließlich zu seinem Vetter zweiten Grades, der ein Bogenschütze
war und ließ mich dort lernen, wie man die Sehne des kurzen Jagdbogens
spannt und einen Pfeil über viele Fuß Distanz ins Ziel schießt,
auch wenn dieses sich bewegte. Ich lernte den Speer zu werfen und eine
Lanze zu halten, so gut wie es eben ein Knabe lernen konnte.
Als ich die Schwelle vom Knaben zum Mann überschritten hatte, brach
ich daher auf um nach Ankhor zu gehen, um dort Aufnahme in die Garde zu
suchen.
Ungern nur ließ mich Myrtis ziehen.
Viele Kinder hat sie großgezogen, aber manchmal dachte ich, ich
könnte wirklich ihr Sohn sein, auch wenn das Blond meines Haares
immer dunkler wird und meine Augen blaugrau sind, aber sie hat mich gelehrt,
nie zu vergessen, wer meine wahre Mutter war. Und dass mein Vater ein
guter Mann war, denn nur ein guter Mann würde einem Kind des Greifen
den Namen geben, den ich trage.
Zorn.
Infos über den Clan der Templerschaft von Ankhor unter www.follow.de

|