AZ 20050331. Bender, BS08/31

5. März

Kaltes Licht sickert in den Raum, blauer Neonschein stiehlt sich zwischen den Metallstreifen des Jalousie hindurch, Streifen von Helligkeit, die manches erhellen, anderes in groteske Formlosigkeit stürzen.

Guck nicht, Kid. Guck nicht...
Es waren diese Worte, die den Rhythmus bestimmten.
Guck ... Nicht ...
Ich mag das Gefühl, wenn ich spüre, wie mir Schweißperlen über den Rücken laufen, bis hinunter zum Steiß und dort ...nunja.
Nicht, dass es die vordringlichste Empfindung ist in diesem Moment.

Nichts trennt Nadine und mich mehr außer einem Hauch Gummi, sie hat die Beine, die noch in Halterlosen steckten, um meine Hüften geschlungen, zieht mich mit allem was sie hatte, näher zu sich. Ihr wohlgeformter, nackter Hintern rutscht über den Tisch, ein wenig nur. Ihre Haut ist so schweißfeucht wie meine, das ist ein gutes Zeichen, aber so rutscht man nicht gut auf Holz. Es gibt kleine, unbeschreibliche Geräusche, während ich mich bewege, wenn unsere Körper aneinanderklatschen, wenn sie nach einem klebrigen Moment sich wieder trennen, Geräusche, die in den Pornos immer fehlen, von nerviger Musik übertönt werden oder untergehen in gekünsteltem Gestöhne.

Nicht, dass Nadine leise wäre, sie keucht, immer wieder gibt sie einen hellen Laut von sich. Ich bin mir nicht ganz sicher, ich glaube, sie japst "Gipsy". Ich mag es, dass sie so haltlos ist bei unserem Tun. Ich mag es, wie ich sie führen kann und ich mag es, dass ich ihr etwas gebe.
So auf dem Tisch ist Sex aufregend aber auch ziemlich unbequem, auch beim dritten oder vierten Mal. Es gibt im Empire keine Betten, es ist schon ein Zugeständnis, dass ich den Schlüssel zu diesem Raum von Chak bekomme, dem Pächter des Empires. Vormittags sitzt hier die Frau, die die Internet-Bestellungen für den Online-Laden bearbeitet, den Chak nebenher betreibt.

Jetzt sitzt hier Nadine auf dem Tisch, klammert sich an mich und vermutlich wird es gleich auf der Holzplatte einen apfelförmigen, feuchten Schatten geben, wenn sie aufsteht.
Woran ich in solch einem Moment denke, ist mir immer wieder unheimlich.

Ich könnte auch an Lena denken, meine letzte feste Freundin, die heute auch da war und demonstrativ in der ersten Reihe vor der Bühne stand. Arm in Arm mit ihre "Abendbegleitung".
Oder an Saskia, die mit Marteen abgezogen ist, vermutlich nicht weiter als bis zu dessen Wagen. Ein Wagen hilft bei den Frauen, sag ich ja immer.
Oder an Kid, die nach dem Gig einen Moment ihre Arme um mich schlang und gegen mich gelehnt stehen blieb. Sie war heiß, verschwitzt und ihre Haare klebten an ihrer Stirn. Es ging ihr nicht anders als mir und für den Moment, als ihr Herz an meiner Brust schlug, ich mit jedem hektischen Atemzug ihren Körper in mich sog, waren wir unzertrennbar. Ein Körper und ein Wille. Meine Rebecca. Das war so gut wie Musik - und dauerte auch nicht länger. Dann machte sie sich wieder los und verschwand.

Zur Party war sie wieder da, umgezogen, trocken, kühl und distanziert. Kid halt.
Sie amüsiert sich, spottet mit jedem Blick und mit jedem Heben ihres Mundwinkels, während Nadine und ich näher zueinander rücken, die Bedingungen für den Abend klären. Sie weiß, dass ich mit der Frau, der die eingeflochtenen, blauen Zöpfe im schwarzen Haar bis zum Gürtel des Minikleides hängen, gleich verschwinden und Sex haben werde.
Sie weiß auch, dass es für Nadine und mich nicht das erste Mal ist ... und dass ich alle blauen Zöpfe und Minikleider, sogar die kurzen Schottenröckchen, stehen lassen würde, um mit ihr zu gehen. Aber sie sitzt oben auf der Lehne des Sofa, trinkt ihr Bier, springt manchmal auf die Tanzfläche und spricht kein Wort mehr mit mir.
Es fällt vermutlich keinem anderen auf. Ich bin der Star des Abends und alle anderen sprechen viel mit mir - dabei wissen sie noch nicht vom Plattenvertrag. Da habe ich die Order ausgegeben: Schweigen, bis wir es Schwarz auf Weiß haben. Dann ist vermutlich eine Riesenparty hier fällig.

Und dann, während Kid sich zu harten Beats auf der Tanzfläche wiegt, ein scharfer Kontrast zu all denen, die jeden Takt in eine scharfe, knappe Bewegung umsetzen, während sie mit geschlossenen Augen ihren Körper loslässt im Stakkatolicht, verschwinde ich mit Nadine die Treppe hoch.

Solche philosophischen Gedanken setzen an entsprechender Stelle für einen Moment aus, aber nur um danach sofort wieder zurück zukommen. Die vertraute, reine Spur aus Energie fährt durch mein Rückgrat, schickt Blitze in meine Eier und mein Hirn und erfüllte jede Ader mit Licht. Poren öffnen sich, ich spüre den Schweiß deutlich, und höre Nadines Schreie, und der Gedanke an Kid ist verschwunden und ich komme mir vor, als löse ich mich in einen Strom aus reiner Elektrizität auf, die jede Zelle leuchten lässt, den Schmerz aus meinen Augen rinnen lässt, aus meinen Poren und in kurzen, harten Atemzügen aus meinen Lungen.

So ist es mit Nadine. Ich bin sicher, wäre es jemand anders, könnte ich wieder fliegen.

So denke ich nach einer langen, leidenschaftlichen Nummer mit dieser hübschen, stylischen Frau ... an eine andere, deren knabenhafter Körper meine ultimative Sehnsucht ist. Vielleicht ist es dieses Schwein in mir, dass mir hilft, Texte zu verfassen, die "...abseits süßlicher Klischees das Lebensgefühl einer neuen Generation ausdrücken". Die Beschreibung ist nicht von mir, so ist über uns berichtet worden, aber die Phrase gefällt mir.

Sorgfältig achte ich darauf, dass ich sie noch eine Weile halte. Vorsichtig ziehe ich mich dann erst zurück, lächele zu Nadine hin, deren Körper wie mein Gesicht von dem gestreiftem Licht beleuchtet wird. Sprechen kann ich noch nicht. Noch bin ich zu weit weg, noch bin ich nicht wieder bei mir.

"Gipsy ...", murmelt sie, tastet nach ihrem Slip und ihrem Kleid. "Manchmal hätte ich schon gerne eine Beziehung mit dir. Nur deswegen ..."

Das lässt mich lachen. "Schöne Frau, was willst du mit einem Bürschchen wie mir denn?" Nadine ist 7 Jahre älter als ich. "Gegen die Männer, die bei dir Schlange stehen müssen, kann ich doch nicht konkurrieren..."
Während ich mit den Schlaufen und Streifen an meiner Hose kämpfe (stylisch aber unpraktisch), gibt sie mir einen Klaps auf den Kopf. "Red keinen Unsinn. Komplimentenhure..."
Was ein geiles Wort! Dazu fallen mir spontan zwei bis drei Songzeilen ein.

"Wie ihr wünscht, Herrin...", spöttele ich, während ich mich verneige und dabei nach meinem Shirt angele. So sieht sie nicht, wie mir bei ihrer nächsten Frage die Gesichtszüge entgleisen. "Und, bei der kleinen Geigerin schon weitergekommen?"
Fieberhaft, während ich es mit Anziehen tarne, überlege ich, was ich Nadine erzählt habe. Es kann nicht viel gewesen. Kann es nicht!

"Nein, da läuft nichts", erklärte ich, während ich den Pulloversaum nach unten ziehe. Tief reicht er nicht, soll er auch nicht, sonst würde es auch keinen Sinn machen, dass die Hose so weit unten sitzt.

"Schade, ihr wärt ein süßes Paar."
"Na prima. Das ist genau das, was wir sein wollten. Ein süßes Paar. Wir sind doch hier nicht bei GZSZ!"
"Gutes Argument", gibt sie zu und zieht den Reißverschluss unter ihrem Arm hoch. "Komm, gehen wir wieder runter, schließlich ist es dein Abend und die anderen wollen auch was von dir haben", meint sie, nachdem alles wieder am Platz ist, Haare, Schmuck, Kleidung.

Hand in Hand gehen wir nach unten, wo die Party noch in vollem Gange ist. Elektrobeats hämmern durch die rauchige Luft, lassen den Körper vibrieren, wenn die Schallwellen auf der Haut aufprallen. Das Licht zuckt immer noch, reißt Bilder von morbider Schönheit aus dem Dunkel.
Mystik, der sich bewegt, als würde er schwimmen lernen, und um dessen Mund immer ein leicht abwesendes Lächeln steht.
Olli, dessen grüne Schläfenlocken heute perfekt zur apfelfarbenen Tigerhose passen.
Lena, deren Mieder so eng geschnürt ist, dass es aussieht, als habe sie Brüste.
Frauke, die magersüchtige, blonde Holländerin, die immer mit ihrer Mutter kommt. Beide in schwarzem Lack.
Denis, der heute keinen Rock trägt, sondern Lederhosen, deren Schlag mit Druckknöpfen bis zum Knie verziert ist, und ein Mera Luna 2004 Sweat-Shirt.
Friedel steht am Rand mit Corinna, seiner Freundin, sie trinkt Bier, er Wasser. Er muss noch fahren.
Marteen und Saskia sind noch nicht wieder da.
Lenas blaue Augen, kunstvoll bemalt und mit kleinen Strasssteinen umklebt, zucken zu mir, so auffällig unauffällig, dass es lächerlich wirkt, dann dreht sie sich demonstrativ um. Auch wenn es bei dem Licht nicht leicht zu sehen ist, könnte ich schwören, dass sie dem Kerl, mit dem sie da ist, die Hand zwischen die Beine schiebt. Ob ich ihr nochmals sage, dass ihr vermutlich nie wieder ein Kerl den kleinen Finger reichen wird?
Sie sind alle da. Die üblichen Verdächtigen.
The usual crowd.

Nur eine fehlt, die einzige, die zählt.

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