AZ 20050331. Bender, BS02/31


Dann fällt mir ein, dass ich dabei bin, die Probe zu vergessen. Nein, nein, schnell jetzt.
Ich bin eigentlich schon fertig aufgestylt, aber das passt jetzt alles nicht mehr.
Während ich die Treppe runter renne reiß ich die Jacke auf, das Shirt landet auf den Stufen, ich kann nicht warten, bis ich in meinem Zimmer bin - und wer sollte jetzt noch einen Anfall kriegen?
_Noch_ einen Anfall.
HERZ.INFARKT!

Irgendwo, irgendwo ganz unten in meinem Schrank ist muss es sein, ich weiß, dass es da sein muss.
Irgendwo da.
Es muss doch zu finden sein.
Es ist NICHT schwarz. Das muss man doch sehen, auch wenn es im Schrank so dunkel ist.

Da, ich kann es an meinen Fingerspitzen spüren, seidig und vor allem so bestickt, so bunt mit kleinen Spiegeln. Ganz hinten in dem unteren, tiefen Fach.

Es riecht anders als die anderen Sachen in meinem Schrank, es riecht nach indischen Räucherstäbchen, schwer, süß und doch ist da auch eine irritierende Note dabei, wie verbrennendes Holz. Sofort sehe ich das Bild des Ladens vor mir.

Exim steht auf der Schreibe und weil die Sonne scheint, steht es in Schattenschrift auch auf dem Boden. Der ganze Laden mit seinen Sachen, die glitzern, funkeln, in leuchtenden Farben strahlen, ist in warmes Licht getaucht, in dem Staubkörner gleißen wie Diamantstaub. Und in dieses Licht, in dieses Gespinst aus Gold tritt das schönste Mädchen der Welt.
Sie hat tote Augen, in deren Tiefe noch ein Licht ist, wie eine Kerze, die versucht einen schwarzen Raum zu erhellen; in den Händen hält sie ein Fußkettchen, dessen silberne Glöckchen zu unserer Begrüßung klingeln wie die Glöckchen der Messdiener bei der Wandlung. Und ihr Haar leuchtet auf, fängt das Licht ein und glüht wie Lava.

Das Bild brennt sich auf meiner Netzhaut ein, ich sehe es, wenn ich die Augen schließe, ich fühle die Hitze wieder, die mein Herz umfließt, dieses Gefühl von Magma, das heiß mein Innerstes berührt, sich um die Quelle meines Lebens legt, dort hart wird - und mein Herz ist gefangen und geschützt zugleich ab sofort in diesem Kokon aus Stein.

Der Geruch, der silberhelle Glockenton und das Gefühl, von der Liebe berührt zu sein, all das ist wieder da, als ich das Hemd in Händen halte.

Als ich es dann überziehe, gleitet der leicht knittrige Stoff so kühl und sanft über meinen Rücken wie Feenhaar. Er streichelt die Narben, wo die Flügel waren, und legt sich zart auf meine Schultern. Im Spiegel, während ich wieder hochlaufe, zu meiner Tasche, die am Telefon steht, sehe ich einen bunten, einen silberbunten Schmetterling, und ich könnte schreien vor Glück.

HERZ.INFARKT!


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