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AZ 20050331.Bender
An den Händen des Jungen, der auf die Glastür zutrat, schimmerten
silbern solche Ringe, wie sie auch dort in der Auslage zu sehen waren.
Vielleicht waren die seinen ein wenig filigraner, wirken ein wenig mehr
"handgemacht", aber groß war der Unterschied nicht. Dann brach die Sonne hervor. Lichtstrahlen bahnten sich ihren Weg, stießen dolchgleich in das Innere des Ladens, rissen die verborgene Schätze aus dem Dunkel des Nichtbeachtens. Wellen aus Energie trafen auf Partikel von Dreck und verwandelten sie in lichte Juwelen, die durch den Äther tanzten. Eine Transformation, die kein Einstein berechnen und nur ein Poet sehen konnte. Kurz blinzelte der junge Besucher und als er die Augen wieder aufschlug, war vor ihm ein Mädchen. Sie trug Schwarz wie er, eine Hose mit aufgesetzten Taschen, die in die
Stiefel gestopft war. Zwischen Hosenbund und Saum des Achselshirts war
ein Streifen frei, man sah ihren flachen Bauch, zarte, weiche Kuhlen neben
den Hüftknochen, gerade soviel, das man träumen konnte, so wenig,
dass es eine Herausforderung blieb, sich mehr auszumalen. Über die
Schulter trug sie eine schwarze Stofftasche, auf deren Klappe ein Batch
von In Extremo aufgenäht war. Kein Schmuck. Das herzförmige Gesicht wurde von einer Masse kupferroten Haares umrahmt, die lockig die Schultern umspielte. Die Nase war klein, die Lippen hell und voll aber das bemerkenswerteste waren die Augen. Sie waren tiefdunkel - und man versuchte vergeblich, sich darin zu spiegeln. Alles hatten diese Augen schon gesehen, tiefe Bronnen des Schmerzes, der mit dem Wissen kam. Kritiker einer übersättigten Zeit mochten argumentieren, dass diese Düsternis ihren Charakter mit Tiefe ausstattete, der ihm sonst gefehlt hätte. Aber solche Stimmen wussten auch keine Antwort darauf, warum ein siebzehnjähriges Kind nicht lachte. So begegneten sich ihre Augen das erste Mal über den Abgrund des Misstrauens hinweg, Sturmhimmelblau und Nachtdunkel. Das Klingeln der Türglocken wurde von den Silberglöckchen aufgenommen, die an der Fußkette hingen, die sie in Händen hielt. "Hi ...", murmelte er. Wenn sie sich bewegte, schimmerten einzelne Haare wie brennendes Metall um ihr Gesicht herum. Mit einer kleinen, schmalen Hand wischte sie feine Strähnchen aus ihrer Stirn. "Ich wollte mal nach nem Shirt gucken", meinte er dann in dem verkrampften Bemühen, das Gespräch nicht abreißen zu lassen, das Mädchen für immer in diesem Moment festzuhalten. Ihr blieb nichts übrig, als ihn anzulächeln. Was hätte sie ihm dazu sagen sollen? Ich würde dich lieber nackt sehen ... Das mochte er sich erträumen, aber die Wirklichkeit war kein feuchter Jungentraum. "Jemand mit deinem Geschmack könnte mich beraten dabei", grinste er schließlich, bevor sich die Welle des Schicksals brach und diesen Moment aus der Tür spülte. Nun lachte sie. "Und du nimmst, was ich dir aussuche?", forderte sie ihn heraus. Er war achtzehn. Welche Antwort konnte er geben außer: "Klar..." So suchten sie sich durch die Stapel an Kleidung. Sie benahmen sich als
wären sie allein auf der Welt, auch wenn schwarze Augen auf sie gerichtet
waren. Vieles war schwarz, aber schließlich gab sie ihm ein buntbesticktes
Hemd, dessen beigefarbenen Font man kaum noch erkannte zwischen Stickereien,
Perlen und kleinen Spiegeln. Sturmaugen waren es, die zu ihr hinblitzen, bevor er die Lederjacke auf
den Boden fallen ließ und das zerrissene T-Shirt (natürlich
auch schwarz) noch oben drauf. Von der Hüfte (und die Hose saß
tief) aufwärts nackt stand er nun vor ihr. Sie wich unerwartet ein kleines Stück zurück - bevor sie es merkte, hatte sie es schon getan. Ob er es merkte, war nicht zu erkennen, denn er streifte das Shirt über, verschwand zwischen den weichen Falten, bevor der gefranste Saum um seine Hüften fiel. Wieder sah er sie an. "Und?" Er stockte. "Wie heißt
du eigentlich?" Sie stemmte die Hände in die Hüfte, versuchte sich zu spreize,
breit und eindrucksvoll zu machen, aber sie blieb nur ein Mädchen
in burschikoser Kleidung. "Dann kaufe ich es auch... Und die Kette da auch." Er deutete mit dem Kinn auf das Fußkettchen, dass sie immer noch umklammert hielt. "Warum?" Oh, wie misstrauisch konnte sie ihn ansehen. "Ich schenke es dir, und du gehst mit mir Eis essen." Er beugte sich vor, als er das Shirt wieder auszog. Sein Rückgrat trat hervor, kleine knochige Erhebungen wie das Skelett eines Urzeitdrachen, der sich gleich aufrichten wollte, um seine Beute zu verschlingen. "Was ist das?", fragte sie verwundert, berührte ihn, während
er sich noch vor ihr verbeugtet, gefesselt in seinem Zigeunerhemd. "Flügel." An den Anfang --- zurück
--- weiter ----Das Ende |
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