AZ 20050331.Bender, BS03/31

"Gipsy...", murmelte Friedel verblüfft. Er hat zweimal hingesehen, bevor er mich erkannt hat. "Das, was du da anhast, ist nicht schwarz...", erklärt er mir dann, als wüsste ich das nicht selbst.
"Nein, ist es nicht! Mein Vater hatte einen Herzinfarkt. Sieht nicht gut aus für ihn."

Friedel ist mein ältester Freund, wir kennen uns aus der Schule, der ersten, auf der ich hier war. Er singt im Background und sorgt für das kalte Digitale in unserem Sound. Das macht er richtig gut. Singen nicht, aber er traut es sich wenigstens und Kid hat schon recht, wenn ich singe, achtet eh keiner auf die zweite Stimme.
Ist so.
Friedel weiß alles über mich. Und er versteht mich, so gut einer verstehen kann, der Eltern hat, die in Bikerklamotten zu unseren Auftritten kommen, versteht er mich auch. Ihm muss ich nicht mehr sagen.

"Und das feierst du?" Marteen muss natürlich seinen Senf auch dazu geben. Er ist 22. Vielleicht ist das sein Problem, vielleicht sind diese 3 Jahre, die uns trennen, der Grund dafür, dass er so uncool ist. Vielleicht auch, weil sein Vater 100 Euro die Stunde verdient und seinem Sohn alles bezahlt. Auch die Gitarrenstunden. Das ist das einzig gute. Aber irgendwie ist es auch Scheiße. Würde Marteen nicht so geil Gitarre spielen, hätte ich ihn nicht genommen. Aber seine Gitarre ätzt sich durch unsere Lieder, beißend, mitreißend und klingt genauso, wie ich es haben will.
Er hat in seinem Leben alles bekommen, was er wollte.
Er sieht gut aus, das hilft bei den Mädchen, er ist etwas größer als ich, blond und geht regelmäßig ins Studio.
Er hat Geld. Das hilft auch bei Mädchen. Eigentlich hat sein Vater Geld, aber da Marteen sein einziges Kind ist, bekommt er was er will. Ein Auto mit 18 und mit 20 ein Motorrad. Und ein Motorrad hilft bei Mädchen noch mehr als nur Geld.

Aber in der Band ist er der Gitarrist und ich stehe vorne und singe. Wenn die Sonne aufgeht bei den Konzerten, wenn die Scheinwerfer aufgeblendet werden, dann fällt ihr Licht auf mich. Und auch wenn wir bisher fast nur in kleinen Clubs, auf winzigen Bühnen gespielt haben, so ist es doch für ihn schwer zu akzeptieren, dass mein Schatten auf ihn fällt in den Stunden, in denen wir am intensivsten leben.

Kid kann besser Keyboards als Gitarre spielen. Das ist dämlich. Am besten spielt Kid Violine. Da kann ich nicht mithalten, obwohl ich es von ihr gelernt habe. Aber wenn sie Violine spielt, dann scheinen die Töne wie Schwingungen aus Samt zu sein, die alles durchdringen. Ihre Töne finden eine direkt Verbindung vom Ohr zum Hirn, die vermutlich noch in 1000 Jahren kein Forscher finden wird.
Kid macht unsere Musik unverwechselbar. Darum habe ich Kid gebeten, für mich ihre Angst vor den Scheinwerfern zu vergessen, weil wir für unseren Sound einfach die Violine brauchen und niemand soviel Seele in die dunklen Töne gibt wie sie. Sie lernt jetzt auch Cello, bis das soweit ist wird noch was dauern, aber dann wird das wirklich gigantisch werden. Am Keyboard kann Kid auch singen. Sie hat keine große Stimme. Sie kommt nicht sehr hoch oder sehr tief, aber ich höre sie gerne, weil sie ein ganz weiches Timbre hat.

Jetzt steht sie da, in dem schwarzen Sweatshirt, das ihre kleinen Brüste verbirgt, das Feuerhaar zusammengeknotet. Ihre Nachtaugen lassen mich nicht los. Ich weiß, dass sie sich an das Hemd, das ich trage erinnert.
Ich würde gerne mit ihr schlafen, aber das geht nicht.
Nicht jetzt, und auch sonst nicht. Es gibt Nächte, wo mein Körper weh tut, weil ich nur an sie denken kann. Aber sie will nicht.
Ich glaube, es liegt an ihrem Bruder.
Aber sie sagt nichts.
Ich glaube ihr nicht, dass sie auf Mädchen steht.
Ich glaube, Stefan hat ihr zu weh getan und das überträgt sie auf alle Jungen.
Ich könnte ihr etwas anderes zeigen, aber wir haben einander ein Versprechen gegeben: Wir werden uns nie einmischen. Wir sind beide stark.

Friedel ist auch deswegen wichtig für uns, weil er Sachen sagt wie jetzt: "Kommt, bevor wir uns verquatschen, lasst uns was tun. Und wenn ihr brav wart, erzähle ich euch, wer geschrieben hat."

Es war ein Mann von El-Rec, einer der Plattenfirmen, denen wir unsere Demo-CD geschickt haben. Er hat einen Brief geschickt, dass er interessiert ist, und vorbeikommen will um mit uns zu sprechen. Die Post für die Band geht an Friedel. Das ist nötig, denn auch wenn ich seit 4 Monaten volljährig bin, kann ich nicht sicher sein, dass meine Post ungeöffnet bleibt oder mich erreicht.

"Er will am Freitag vorbei kommen...", schloss Friedel seinen Vortrag.
"Das ist übermorgen!" Marteen klang schockiert.
Kid strich sich die Haare aus der Stirn und zuckte nur die Schulter. "Soll er kommen..."

Qualm von meiner Zigarette ringelt sich in die Luft, die Schlieren sind nicht weniger verworren und unvorhersehbar als meine Gedanken. Und genauso wie der Rauch wird mein Denken vom Wind davon getragen. Ich wage kaum zu hoffen. Früher habe ich viel geträumt, aber nun bin ich vorsichtiger geworden. Aber dennoch ...
"Ich rufe ihn an und lade ihn zu einer Probe ein. Für Freitag um 19 Uhr. Dann zeigen wir ihm, was wir drauf haben."
Die anderen nickte, für den Moment sind wir uns alle einig, ziehen wir alle an einem Strang.

Vielleicht ist heute der erste Tag eines neuen Lebens.

 

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