AZ 20050331. Bender, BS 30/31

30. März

Ein Mann und seine Flöte. Ich stehe da, betrachte das schimmernde Stück Metall in meiner Hand und fühle mich ... leer. Ganz leer. Ich weiß nicht mal mehr, wie man sie hält, geschweige denn, wie man sie spielt. Abgesehen davon, dass ich sie mit so trockenem Mund, wie ich ihn jetzt habe, gar nicht spielen könnte, selbst wenn ich wüsste, wie das geht.

Vorhin, bei der Probe, konnte ich es noch, daran erinnere ich mich genau.

Es ist heiß in der Umkleide. Oder vielleicht ... vielleicht auch nicht, vielleicht ist auch nur mir heiß. Die Sonne scheint auf das Gebäude, in sofern könnte es...
Es klopft.
Hektisch.
Aber bevor ich sortiert habe, dass das Wummern, das ich höre, nicht mein Herz ist, das bis zum Hals schlägt, fliegt die Tür schon auf.
Kid steht da. Sie ist völlig aufgelöst. Sie sieht fertig aus. Vermutlich denkt sie das selbe von mir.

"Gipsy, ich kann das nicht!", krächzt sie.

Anklagend hält sie mir Stoff entgegen. Er ist silbrig. Es ist nicht viel.

"Was ist das?", frage ich verwirrt.

"Daniel hat mir das gegeben. Für dich und mich zum Anziehen. Und er hat gesagt, er will mich darin sehen, darauf bestände er!"

Ich klaube es aus ihrem Griff und halte es mit spitzen Fingern hoch. Es ist ein Röckchen. Jedenfalls so etwas ähnliches. Es ist so lang, das es vermutlich den Hintern und die Scham bedeckt. Mehr, so dachte der Schneider wohl, braucht es nicht - mehr kriegt es nicht.
Das Oberteil ist so kurz, dass man den Saum vermutlich an den Nippeln festkleben kann.
Scharf.

Ich sehe zu Kid und sehe sie in diesen Sachen. Wie bei einem Computermodell baut sich das Bild vor meinem inneren Auge auf - nur beim Gesicht versagt mein Prozessor. Es will sich einfach aus den mir vorliegenden Daten kein verführerisches Lächeln generieren lassen.

Kids Gesichtsausdruck verändert sich. Von fassungslos zu wütend. Sie ahnt vermutlich, was ich denke. Jedenfalls schleudert sie mir das Zeug, was sie in der anderen Hand hat, vor die Brust. "Du kannst Grinsen, Bender. Dein Kram ist ja auch in Ordnung!", faucht sie.

In der Tat: es ist eine schwarze Bondage-Hose und ein ebensolches Tank-Top. Damit kann ich wirklich leben. Das habe ich etliche Male in meinem privaten Bestand. So kleide ich auch meine SIMS.

Die Figuren, die Daniel damit kreieren will, sind klar: Den finsteren Helden am Mike und die kleine, sexy Hexe an der Violine.

"Marteens Zeug ist auch völlig normal. Aber ich kriege ... so was!" Fast stehen Tränen in ihren Augen. Voller Wut, voller Hilflosigkeit. "Ich kann das nicht anziehen."

Ich verstehe sie. Ich kenne Rebecca, genannt Kid, jetzt so lange. Ich weiß, dass sie das nicht tragen kann.
"Okay, gib es mir." Ich drücke ihr die Hose und das Tank-Top vor die Brust. "Sieh zu, dass du deinen süßen Arsch da reinkriegst. Wir tun, was Daniel sagt."

Sie starrt die Hose in ihrer Hand an, dann mich. Mit großen Augen.
Ich kann nicht anders, ich ziehe sie an mich und küsse sie. Es ist ein Moment, an dem mein Prozessor doch ein Lächeln kreieren kann, während mein Joystick schon meint, man könnte vielleicht eine Runde Schlitten fahren.

Es dauert nicht mal eine Sekunde, dann schieb sie mich von sich und blitzt mich an. Allerdings, meine Güte, das ist es wirklich wert!

Sie atmete durch, starrt mich noch mal an, bevor sie doch grinsen muss. "Du wirst beschissen aussehen, Gipsy", meint sie dann freundlich.
"Das sagst du nur, weil du neidisch auf meine Beine bist."
"Das sage ich, weil du aussehen wirst wie eine kleine Nutte."
"Ich bin eine kleine Nutte. Und wenn du ein Stündchen mit mir willst, dann musst du dich schon melden." Meine Nervosität hat sich in eine gewisse Albernheit verwandelt.

Auch Kid kichert jetzt. "Ich werde es mir merken." Einen Moment sehen wir uns nur an, dann meint sie leise: "Danke."

Ich nicke nur. Ich werde vielleicht beschissen aussehen. Ich werde mich vielleicht zum Affen machen - aber für dieses Lächeln würde ich das jeden Tag zweimal tun. "Raus jetzt ... ich muss mich fertig machen."

Ich denke, sie geht, ziehe mir, mich zum Fenster drehend, das Hemd aus, als ich ihre Hände plötzlich auf meinen Flanken spüre. Sofort fühle ich eine Gänsehaut meinen Körper überziehen, die nicht besser wird, als ihre Lippen sacht meine nackten Schultern berühren.

"Bis gleich", wispert sie, dann höre ich die Tür und sie ist weg - und ich muss erstmal Eine rauchen.

Ich bin jetzt vielleicht ein Held mit dem Lappen, aber irgendwie komisch ist mir doch zu Mute, als ich die beiden Knöpfe dieses Wickelröckchens zumache. Man kommt sich ziemlich nackt vor mit sowas. Und das Oberteil macht es nicht besser. Ich fühle mich fast nackter mit als ohne. Vielleicht umrahme ich darum sehr nachdenklich blickende Augen kunstvoll mit Eyeliner, als ich endlich dazu komme, mich zu schminken.

Wenigstens zittern meine Hände nicht.

Und dann ist es Zeit.

Es ist 17:55 und ich muss raus.
Aus der Nebentür tritt Marteen, dessen Blick auf der nach oben offenen Fassungslosigkeits-Skala bei meinem Anblick eine glatte 12 macht.
Einen Augenblick später, auf dem Weg zur Bühne, gesellt sich Kid zu uns, die sich hütet, etwas zu sagen.
Thilo ist schon draußen, steht hinter den Keyboards und rückt sich das Mikrofon zurecht.
Er dreht nur den Kopf, als er unsere Gestalten im Bühnendurchgang sieht.

Vorne an der Kante der Bretter, die meine Welt bedeuteten, steht ein Mann, der uns ankündigt.
"Und hier, das erste Mal bei uns: Blood and Violin!"

Man hört nichts.

Mir ist schon wieder so kalt.

Ich gehe nach vorne, in diesem albernen silbernen Röckchen, die Flöte in der Hand und hinter mir kommen Kid und Marteen, die ihre Plätze ein- und ihre Instrumente aufnehmen.

Ich erreiche den vorderen Bühnenrand.

Der Platz vor mir ist leer.


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