AZ 20050331. Bender, BS 4/31

2.März

"Warum wohnst du überhaupt noch Zuhause?", hat mich Marteen schon vor langem gefragt. So eine einfache Frage - und ich konnte sie nicht beantworten. Ich erinnere mich noch daran, wie ich vor ihm gestanden habe, far from cool. Ich hätte eine Antwort wissen müssen - aber ich war sprachlos. Ich hatte mir diese naheliegendste aller Fragen nie gestellt. Eine schlaflose Nacht war dem gefolgt. Heute weiß ich die zwei Antworten auf diese Frage: ich will es ihnen nicht zu leicht machen, ich will der Dorn in seiner Seite sein und ich würde ausziehen als Flucht deuten.

Nun komme ich also nach Hause.
Das Haus hinter seiner Palisade aus Buxus und Wohlanständigkeit liegt im Dunkeln. Kein Licht dringt durch die Fenster nach draußen. Der Schein der Laterne reicht nur bis zu der Magnolie im Vorgarten.

Noch vibrieren die Töne in meinem Blut, mein Herz schlägt noch im Takt der Bassline. Aber das Jubilieren der Flöte habe ich schon nicht mehr im Ohr.
Wenn ich die Türe geöffnet habe, werden die Töne langsam alle ersterben.
Mein Körper wird sich hohl und taub anfühlen.
Ich brauche die Musik.
Das haben sie nie begriffen, dass ich keine Wahl habe.
Ich muss spielen. Ich muss singen.
Dann komme ich ins Paradies zurück, aus dem ich vertrieben wurde.

Der Schlüssel in Schloss scheint sich unendlich langsam zu drehen, ich höre jeden einzelnen der Stifte, die in die Zacken greifen, sich bewegen, den Mechanismus ausschalten, der den Schnapper an seinem Platz hält.
Es gibt Abende, da spüre ich, wie dieses Schloss sich weigern will mich einzulassen.

Heute nicht. Heute ist der alte Hexenmeister nicht daheim. Er hat sich wegbegeben und vielleicht ... kommt er nie wieder. Vielleicht ist er schon ... tot.
Ich spüre das Wort auf meiner Zunge. Tot.
Wenn man es ganz langsam ausspricht, sieht man aus, als wollte man jemanden küssen. Die Lippen spitzen sich ... toooot.

Eine Insel aus Licht in der Küche. Dort sitzt jemand am Küchentisch und nur die kleine Lampe über dem Essplatz ist angeschaltet. Ich erkenne die Silhouette meiner Mutter. Ihre Schultern zittern.
Herzinfarkt...

"Mama?", frage ich sie leise - und sie zuckt zusammen, fährt herum.
Ihr Gesicht, beleuchtet von oben, sieht aus wie ein Totenschädel bespannt mit gegerbtem, braunen Pergament. Das kommt vom Rauchen und vom Solarium und vom Licht und von der Angst, dass ihr Leben sich ändern könnte.

"Sie bekommen ihn nicht wach...", krächzt sich ihre wispernde Stimme in meine Gedanken über ihr Aussehen. "Ich habe angerufen aber sie sind so kurz angebunden. Sie sagen mir nichts. Außer dem .... sie bekommen ihn nicht wach."

Ich nicke ihr zu, streiche dann eine Strähne aus dem Gesicht. "Ich geh mal ins Bett."

Mit einem Satz ist sie bei mir und umklammert meinen Arm. "Lass mich jetzt nicht allein, Bube...", heult sie.
Tränen rinnen aus ihren Augen, es sind nicht die ersten, die sie heute vergossen hat, das sieht man.

"Ich muss morgen früh raus. Schlaf gut."

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