AZ 20050331. Bender, BS05/31

3. März

Aufwachen tat weh.
Mein Kopf tut weh. Mein Rücken.
Ich fühle mich alt.
Ich schlafe auf meinem Tagebuch ein und fühle mich am nächsten Morgen wie ein Greis.
Als hätte ich in der Nacht jeden Tag in dem schwarzgebundenen Buch jede Minute hundertmal gelebt.

Die Dusche spült den Schweiß von meinem Rücken und die Schmerzen rinnen mit dem warmen Wasser in den Abfluss. Darum stehe ich lange unter dem Wasserstrahl und langsam wird mir klar, warum ich so angespannt geschlafen habe.
Ich habe auf Mutti gewartet.
Wenn Papa gestorben wäre, dann hätte sie mir Bescheid gesagt.
Aber sie ist nicht gekommen.
Bitter wird das Wasser, das über mein Gesicht läuft.
Er lebt noch.
Und ich weiß, wenn er jetzt noch lebt, dann wird er weiter leben. Er und ich, wir sind und ähnlich. Wir können beide nicht nachgeben, aufgeben kommt für uns nicht in Frage.
Skorpion. Sagen sie. Daran würde es liegen. Skorpione muss man von hinten erschießen. Wahrscheinlich reicht ein Herzinfarkt nicht aus.
Skorpione überleben sogar einen Atomkrieg.
Eine Wüste unter gnadenloser Sonne, Strahlung so stark, dass man fühlen könnte, wie die Haut blasig wird, sich schwarz verfärbt und dann abplatzt. Aber da ist keine Haut mehr, nackt liegt man in der Wüste und alles was noch da ist, was immer da sein wird ist das sechsbeinige Monster mit seinem Stachel und seinem Gift.
Das hat die Explosion der Stille zurückgelassen.
Die Hoffnung hat mich nackt gemacht, mein Herz liegt offen da, damit jeder, der will hineinstoßen kann, meine Hände sind skelettiert, können nun wirklich keine Flöte mehr spielen. Der Stumpf meines Ringfingers schmerzt immer noch, das ist schon fast pervers.

Während ich auf dem Rücken liege, bewegt sich der Skorpion um mich herum, noch bevor ich ihn sehen kann, höre ich die leisen Geräusche im Sand, spüre ich den Schatten seines Stachels über mir.

Reiß dich zusammen!

Das Wasser läuft mir in die Augen, ich heule wie ein Baby, schon wieder. Und ich kann nicht aufhören.

Ich wünschte mir, mir würde wie einer heulenden Diva jemand eine Ohrfeige geben. Mich wieder nach außen holen. Aber da ist keiner.
Nur mein Gesicht auf den Fliesen sieht mich an.

Mit Wucht schlage ich die Stirn dagegen.

Kalt ist die Keramikoberfläche - und ich komme wieder zu mir.

Skorpion bin ich auch.

Ich werde eines Tages frei sein, frei zu leben, frei zu fliegen. Getragen von den Flügeln meiner Träume, von den Tönen meiner Flöte werde ich die schiere Essenz des Lebens trinken und mich aufschwingen in den Himmel, wieder zurück, nicht mehr vertrieben.
Aus eigener Kraft werde ich das Gefängnis dieses Leibes verlassen, die DNS-Ketten, Doppelhelix oder nicht, zerbrechen und ich selber sein.
In einem Panzer aus schwarzem Stoff und schwarzem Leder, mit der Flöte in der Hand, tödlicher als Gift, steige ich aus meiner Gruft empor in die Küche.

Mutti ist noch da, sitzt über einem Kaffee.
Die Nacht war nicht gnädig mit ihr, hohl sind die Wangen, die Augen liegen in dunklen Höhlen. Aber ihre schmalen Lippen verbiegen sich zu einem Lächeln.
"Er ist wach...", haucht sie wie eine Braut das Jawort haucht.

"Ich nicht." Ich hole mir einen Kaffee, trinke ihn im Stehen, die Tasche über der Schulter.

"Es ist, weil er so massig ist. Die Betäubungsmittel setzen sich im Fett fest und werden verspätet freigegeben. Das war alles ganz normal. Ich kann gleich zu ihm."

Der Kaffee ist bitter, er ist heiß und belebend.

"Saskia hat angerufen, als sie es gehört hat, sie hat ihm Grüße bestellt und will vorbei kommen."

Ich spüle die Tasse um und stelle sie in den Schrank zurück.

"Soll ich ihm Grüße von dir bestellen?"

"Willst du ihn beunruhigen, Mutti? Wenn du ihm Grüße von mir bestellst, wird er denken, ich bin krank und vor Freude nen Rückfall kriegen. Joy that kills."

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