AZ 20050331. Bender


Der Kajal war zu stark. In diesem Herbst/Winter waren pastellene Töne und natürliches Make up Trend. Aber das war eine andere Welt, eine Welt, in der Prada getragen wurde und Esprit. In der gerade Pocketformate für Lifestyle-Magazine propagiert wurden.
Es war nicht die Welt, in der man sich von der Masse abheben wollte, wo man schwarz trug, wo die Musik düster und die Themen ein wenig anders waren.
In dieser Welt trug ein junger Mann den Kajal genau so. Wenn er es wollte.
Gipsy richtete sich wieder auf, nachdem beide Augen dunkel betont waren. Er mochte dieses Ritual, das Schminken, das Ankleiden, das Aussuchen und Anlegen des Schmucks.

"Kann ich den Ring anziehen?"

Ein leises Seufzen. Dann schloss er die Augen kurz, bevor er sich umdrehte. "Nein. Einfach nein. Genauso wie für alles andere..."

Das Mädchen trug genauso schwarz wie er. Hohe Stiefel über Overknees, die über einer grobmaschigen Netzstrumpfhose getragen wurden. Einen kurzen, sehr kurzen schwarzen Faltenrock mit einem Tüllröckchen darunter für den richtigen Stand. Ein Lackmieder, sehr eng geschnürt, so dass die Brüste hochgedrückt wurden.

Dazu Ketten und Armbänder. Eine Vielzahl von Ohrringen unter dem auftoupierten, schwarzgefärbten Haar.

"Warum bist du so beschissen zu mir?", fragte sie, die Hände in die Hüften gestemmt.
"Weil du mir auf die Eier gehst", meinte er, zog die Handschuhe über. Die Finger waren abgeschnitten, daher fiel auf, dass an der Rechten die letzten beiden Glieder des Ringfingers fehlten.
"Sag mal, freust du dich nicht, dass ich auf deiner Seite bin?"

Mit den Finger fuhr er durch die Haarsträhnen, die ihm kunstvoll zerzaust in die Stirn hingen, schob sie zurück.

"Saskia, für mich bist du ein Blender. Bevor du bei deinem letzen Besuch Marteen kennengelernt hast, hast du dich noch nie für meine Musik interessiert. Wenn ich nicht zufällig dein Cousin wäre, hättest du die Straßenseite gewechselt, wenn du mir draußen begegnet wärst."

Sie schnaubte. Es war nicht wirklich unwahr, was er sagte, aber es war nichts, was sie hören wollte. Ihr Cousin hatte die unangenehme Eigenschaft, Dinge so unfreundlich, so plump direkt auszudrücken, dass es manchmal wirklich nicht schön war, wenn man sich mit ihm unterhielt.
Man hatte es nicht einfach, wenn man jüngere Verwandte hatte, die die einzige Verbindung waren zu einem Mann, der einfach ... wusste, was er mit seinen Händen tun musste.
Und nun wollte sie sehen, ob sie dort weiter machen würden, wo sie das letzte Mal aufgehört hatten, als er sie so unwiderstehlich abgeschleppt hatte in die Ecke neben der Garderobe.

Unauffällig nahm sie den Platz vor dem Spiegel ein. Das Halsband war aus schwarzem Leder mit einem Ring daran. Es war aus einem Tierfachmarkt. Es schmiegte sich eng um ihren schlanken Hals, betonte die feine Biegung ihres Nacken. Noch vor kurzem hätte sie sich nicht getraut, so etwas zu tragen, aber seit Martin war das alles anders. Er stand auf so etwas. Und auch wenn er ihr sagte, er wäre an einer Beziehung nicht interessiert, dann hieß das ja nicht, dass sie ihm das glauben musste. Sie war so eine Frau.

"Machst du mir die Kette fest?", bat sie Gipsy, der sie aus unergründlichen Augen musterte.

"An deinem Halsband? Saskia, du willst mit einer _Kette_ am Halsband auf die Party gehen?"

Sie schaltete ihr niedlichstes Jung-Mädchenlächeln ein. "Ja, dachte ich. Ich dachte, du nimmst die. Das wäre bestimmt total cool. Ich bin sicher nicht die hässlichste Begleiterin, die du herumführen könntest."

Der Blick des jüngeren Cousins glitt abermals über ihre Erscheinung. Nein, sie war nicht hässlich. Sie würde wieder viele Blicke auf sich ziehen. Marteen würde sicher entzückt sein, sicher würde er wieder zumindest seine Finger (wenn nicht mehr) in sie stecken.
Es kam ungebeten, dass Kid vor seinem inneren Auge erschien. Sie war nach gängigen Maßstäben weniger attraktiv. Und dennoch ....dennoch hätte er für sie all die enggeschnürten, kurzberockten Dekogrufts stehen gelassen. Da war ein Engel in ihrem Gesicht, der zu ihm sprach, Sterne auf ihrer Stirn und in ihren Augen, die er sehen konnte.

Schroff erklärte er: "Du glaubst doch nicht, dass ich dich an der Kette mitnehme und die dann Marteen in die Hand drücke?"

Sie hatte es gedacht, aber das war vielleicht wirklich etwas viel verlangt. "Ach, er kann sie sich ja einfach nehmen..."

Nun schlug er, Make up oder nicht, doch die Hand vors Gesicht. "Saskia, gegen dich ich Verona klug wie Einstein. Du meinst, ich nehme eine Frau an der Kette mit und sehe dann zu, wie ein andere die Kette ... einfach mal so nimmt?" Er äffte höhnisch ihren Tonfall nach.

"Nun .. öhm... ja...", murmelte sie. Sie erkannte, dass sie einen Fehler gemacht hatte, aber sie konnte nicht sagen wo und welchen.

"Meinst du nicht, dass ich mein Gesicht verliere, wenn jemand anderes ungestraft die Kette von meiner kleinen Sklavin nehmen darf? Und weißt du was? Ne Sklavin wie dich würde ich auch nicht haben wollen! Ich erwarte schon von meiner Sub, dass sie sich darüber im Klaren ist, dass sie nur mir zur Verfügung steht!"

Groß waren die Augen und blank wie Schaufenster, nur dass in der Auslage dieser Seele wenig Intelligenz zu finden war. "Siehst du das so? Das ist doch albern!"

Er gab nicht leicht auf, aber hier war es müde. "Nein, Saskia, du bist albern. Mit deiner Kette und deinem Hundehalsband."
"Du hast auch ein Halsband!", begehrte sie verletzt in ihrem bourgeoisen Stolz auf.

Seine Finger glitten zu dem schmalen Band mit den Stacheln, das er an diesem Abend trug. Es war müßig ihr die Unterschiede zu erklären. Das Gespräch trieb ab wie ein Segelschiff ohne Kiel. Er sehnte sich nach seinen Leuten, nach Kid und Friedel, nach verstanden werden, ohne zu erklären. Nach Nähe ohne Enge.
Er wollte, dass die Musik ihn einhülle, dass sie eine Mauer um ihn bauen würde, ihm Festung wäre, hinter der er alle Vorsicht fallen lassen und sich gehen lassen konnte. Dort war er unschlagbar, auch wenn er verwundbar war.

Dort wohnte sein Herz und schlug frei, dort konnte er träumen, dort - hinter der Musik.

"Pack dein Zeug und komm!" Er warf sich die Fellweste über den nackten Oberkörper und griff sich seine Tasche.

"Können wir noch beim Mäckes vorbeifahren? Ich möchte einen Burger."

"Kein Problem ..."

"Aber denk dran, wenn du bestellst, dass ich keine Gurken will."

Er antwortete nicht. Nicht darauf. Sie war so. Immer die Rosinen rauspicken und bei Mc Donald's noch am Burger mäkeln. Es gab schlimmere als sie - aber sie war eine Prüfung.

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